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Never Mind the Borders

Menschen, Orte und grenzüberschreitende Praktiken zwischen Alpen und Adria

I

m Mittelpunkt der Debatten um die Geschichte Europas während des Kalten Krieges steht die Undurchlässigkeit der Grenzen zwischen Ost und West. Die Berliner Mauer ist der symbolische und faktische Dreh- und Angelpunkt der Rhetorik einer unüberwindbaren Kluft. Die aktuelle Ausstellung Never Mind the Borders fokussiert stattdessen auf die Durchlässigkeit der durch das Blocksystem definierten Staatsgrenzen. Die Bedeutung der Berliner Mauer während des Kalten Krieges ist unbestritten. Dennoch können wir eine breitere Perspektive auf die jüngere europäische Vergangenheit gewinnen, wenn wir uns von Berlin in den Raum zwischen den Alpen und der Adria begeben. Natürlich gab es auch hier Spannungen: Der Erste und vor allem der Zweite Weltkrieg hinterließ tiefe Spuren im Leben der Menschen. Dennoch erkannten Politiker im ersten Nachkriegsjahrzent allmählich die positiven Auswirkungen gutnachbarlicher Beziehungen auf politischer und wirtschaftlicher, aber auch auf kultureller und sozialer Ebene. An den Grenzen zwischen Jugoslawien und Österreich bzw. Italien - dem südlichen Ende dessen, was Winston Churchill 1946 den Eisernen Vorhang genannt hatte - setzte sich dementsprechend ein Ansatz durch, der sich vom üblichen Bild der Grenze zwischen West und Ost unterschied. So konnte der slowenische Filmemacher Mako Sajko bereits 1961 - dem Jahr, in dem zwischen West- und Ostberlin die Mauer errichtet wurde - in seinem Dokumentarfilm über die italienisch-jugoslawische Grenze zu Recht fragen: 'Wo ist der Eiserne Vorhang?'

Es geht aber nicht nur darum, den Blick nach Süden zu verlagern, sondern auch darum, eine andere Perspektive zu eröffnen, die nicht nur die Rolle wichtiger Männer (seltener Frauen) und staatlicher Institutionen spiegelt, sondern auch das Alltagsleben einschließt. Diese Perspektive fokussiert auf die Menschen, für die Grenzübertritte zu einer nahezu alltäglichen Angelegenheit wurden und die die allmähliche Integration der Grenzregion mitgestalteten. Zweifellos war die Grenze in vielerlei Hinsicht gegenwärtig und spürbar. Sie war jedoch kein unüberwindbares Hindernis, sondern eher ein notwendiges Übel, das nichtsdestotrotz eine Vielzahl grenzüberschreitender Praktiken ermöglichte. Diese reichten von Einkäufen von Lebensmitteln und Haushaltswaren bis zu Sonntagsessen und Sommerurlauben.

Die Ausstellung wirft einen Blick auf Menschen, Orte und Alltagspraktiken über die Grenzen hinweg. Sie zeigt, dass man die Geschichte Europas im Kalten Krieg anders erzählen kann, wenn man sich von der Berliner Mauer in die Region zwischen Alpen und Adria begibt.

Borut Klabjan
In den Ausstellungstexten wird unabhängig vom tatsächlichen Geschlecht im Plural zumeist das generische Maskulinum verwendet.
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OPEN BORDERS: Cold War Europe Beyond Borders. A Transnational History of Cross-Border Practices in the Alps-Adriatic area from World War II to the present
The OPEN BORDERS project is funded by the European Research Council under ERC 2021 Advanced Grant funding scheme / ERC Grant Agreement n. 101054963; Copyright © 2025 Open borders Privacy & Cookies